Kloster Gethsemani

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Löwenmäulchen

Als ich ein kleiner Junge war, war ich eine Zeitlang versessen auf Löwenmäulchen. Schließlich kam ich auf die Idee, etwas von meinem Vermögen zu investieren, um selbst welche zu ziehen. Ich ging zu unserem Gärtner und kaufte ein Päckchen Samen. Auf dem Heimweg bewunderte ich das farbenfrohe Bild auf der Samentüte, doch als ich sie schließlich aufriss, fand ich nur etwas, das überhaupt keine Ähnlichkeit hatte mit dem prächtigen Foto von den Blumen. Da man mir aber sagte, das sei schon richtig so, pflanzte ich sie ein und goss sie jeden Tag. Nach einer Woche schien sich noch immer nichts getan zu haben, und so grub ich sie auf, um nachzuschauen - tatsächlich: nichts hatte sich getan! Ich war zutiefst enttäuscht. Das war das Ende der Geschichte mit den Löwenmäulchen.

Aber - Samen und Blumen sind ein großartiges Bild für das, was im geistlichen Leben geschieht. Jesus, der Schreiner, sprach über geistliches Wachstum nie mit Begriffen des Planens und Messens. Er bevorzugte dafür den geheimnis- vollen Rhythmus, der in der Welt der Pflanzen herrscht. Das Reich Gottes ist wie eine im Stillen wachsende Saat, nicht die Errichtung eines in den Himmel strebenden Wolkenkratzers.

Und die Gemeinschaft derer, die Christus nachfolgen, gleicht eher einem Weinstock als einem Wirtschaftsunter- nehmen. Der Weinstock hat seine Jahreszeiten. Da gibt es die Zeit des Überwinterns und die Zeit, wieder mit dem Wachstum zu beginnen, eine Zeit für Blätter und Früchte und eine Zeit, die Blätter fallen zu lassen und zu Boden zu sinken. Alle Jahreszeiten sind wichtig, jede von ihnen spielt eine besondere Rolle.

Wir müssen nur mit Christus verbunden bleiben durch die wechselnden Zeiten unseres Lebens hindurch, ganz gleich was gerade unsere Aufgabe ist. Wir müssen nicht verstehen, was geschieht, nur das eine: dass alles, was geschieht, aus der Hand Gottes kommt.

Zurück zu den Löwenmäulchen. Kinder haben kein Verständnis für Geduld oder Durchhalten. Warten ist schrecklich für sie. Sie wollen sofort das Ergebnis sehen. Wenn sie freilich älter und weiser werden, beginnen sie zu verstehen, dass wir vom Geheimnis des Lebens nicht verlangen dürfen, dass es einfach unsere Erwartungen erfüllt. Denn das Leben ist komplizierter als Löwenmäulchen zu züchten. Das Ergebnis ist freilich auch viel schöner.

(nach Michael Casey, Balaam's donkey, S. 389 f.)